Reutlingen-Betzingen

Es muss ein denkwürdiges Fest gewesen sein: mit Reden, einem Festzug, Girlanden am Rathaus. So feierten die Betzinger am 1. April 1907 ihre Eingemeindung nach Reutlingen. Kein anderer Stadtteil hat sich so früh und so gründlich für den gemeinsamen Weg entschieden. Betzingen brachte in die neue Verbindung nicht nur gut dreitausend Einwohner ein, sondern auch einiges an Wirtschaftskraft. Die Textilfabriken entlang der Echaz beschäftigten bereits um die Jahrhundertwende mehrere hundert Frauen und Männer; bei den Gewerbesteuereinnahmen lag Betzingen im Oberamt auf Rang sechs. Von 1911 an verband eine Straßenbahn Stadt und Stadtteil.

In den vorausgegangenen Jahrhunderten hatten Reutlinger Bürger und Reutlinger Stiftungen, die Besitz im Flecken hatten, die Geschicke Betzingens immer mitbestimmt. Schon 1480 musste der Reutlinger Rat zustimmen, wenn jemand ins Dorf zuziehen wollte.

Einen kleinen dörflichen Kern hat sich der Ort bewahrt. Hier stehen die Mauritiuskirche, deren Turm auf den Anfang des 11. Jahrhunderts zurückgeht, und die renovierte Zehntscheuer. Das Heimatmuseum »Im Dorf« ist in einem typischen Betzinger Bauernhaus untergebracht. Es hat einen »Trippel«: eine steile Außentreppe. Eines der Zimmer dort ist der Betzinger Tracht gewidmet. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, als die bäuerliche Lebensweise längst auf dem Rückzug war, kam sie noch einmal in Mode. Zahlreiche Künstler strömten ins Dorf, die das angeblich authentische Landleben für ihr Publikum in den Städten auf die Leinwand bannten.

Historische Fotografie der Mauritiuskirche Reutlingen West-Betzingen. Im Vordergrund ist eine Brücke über die Echaz zu sehen.
© Historische Fotografie der Mauritiuskirche Reutlingen West-Betzingen. Im Vordergrund ist eine Brücke über die Echaz zu sehen.
Kreisarchiv Reutlingen B 2801_10190_705.01